Insider Athen: Marina Fokidis

Sie kuratiert, sie schreibt, sie gründete 2010 die Kunsthalle Athena in Athen und hat dort die künstlerische Leitung über: Marina Fokidis.

Maria Schoiswohl
12. Mai, 2015

Sie kuratiert, sie schreibt, sie gründete 2010 die Kunsthalle Athena in Athen und hat dort die künstlerische Leitung über: Marina Fokidis. Werfen Sie für uns einen Blick auf die Kunstszene in Athen - was fällt auf? Es gibt hier einen Trend von individuellem privaten Wollen und unabhängigen Räumen und Initiativen, geführt von Künstlern und Kuratorenteams. Die Menschen misstrauen ganz offensichtlich dem Staat hinsichtlich strategischer Finanzierung und Transparenz. Sie warten nicht auf die Finanzierung für ihr kreatives Schaffen. Sie haben auch eine stärkere Dringlichkeit, sich auszudrücken. Unter den Off-Spaces ist 3137 ein Künstlerkollektiv mit einem interessanten Raum im Zentrum Athens (Mavromichali 137). Locus Athens ist ein interessantes nomadisches kuratorisches Kollektiv. Und der Sammler Dimitris Daskalopoulos hat die NEON-Organisation etabliert, die in einer gewissen Weise die staatliche Finanzierung neuer Kunstinitiativen ersetzt. Die organisieren auch Ausstellungen an öffentlichen Plätzen. Schlussendlich gibt es ein paar Institutionen in der touristischen Peripherie, die in einer gewissen Weise, ohne es zu wissen, dem Museum of Modern Art Syros folgen, Martin Kippenbergs künstlerischem Beispiel in Syros. Etwa die deutsche Schwarz Foundation, die den Art Space Pythagorion in Samos etabliert. Auch ich habe da im Sommer immer eine Solo-Show. Bei den Shows mischen sich internationale Kunst-Promis mit der lokalen, griechischen Szene. Ich denke, da kommen noch viel bedeutendere neue Sachen! Wie sieht's bei den Museen aus? Natürlich ist da das neue Gebäude des nationalen Museums für zeitgenössische Kunst (Vassileos Georgiou B 17-19). Das Museum gibt es seit über zehn Jahren, es hat sehr interessante Programme mit internationalen und griechischen Künstlern, aber mit wenig Publikum, aufgrund fehlender Offenheit und Kommunikationsstrategie. Und die sind extrem bürokratisch. Das ist einfach der Staat und die Beamten müssen das Managment ein wenig lockern. Oh - was man auch nicht vergessen darf, ist die Athens Biennale, die kommt auch aus der privaten Initiative eines Künstlers, Kurators und Journalisten - ohne staatliche Finanzierung oder Unterstützung - und die ist heute eine Institution. Sie haben die Kunsthalle Athena gegründet sowie das Magazin "South as a State of Mind" - inmitten der Krise in Griechenland. Inwiefern hat die Krise die Kunstszene in Athen getroffen? Die Krise hat alle hier empfindlich getroffen. Es ist eine ökonomische Krise, aber auch eine sehr harte, humanitäre Krise. Und nicht nur für zwei Jahre, sondern über fünf Jahre bereits, ohne Licht am Ende des Tunnels. Einerseits haben die geopolitischen Konditionen und das sterbende kapitalistische System, andererseits die tiefverwurzelte Korruption auf allen politischen Ebenen und im öffentlichen Sektor zum graduellen Verschwinden der Mittelklasse geführt und speziell jener Menschen, die auf intellektuelle Aktivitäten angewiesen waren. Es ist hoffnungslos und sehr hart. Nun müssen wir alle unsere eigene Realität erfinden und aktiv werden in der Kommunikation außerhalb der griechischen Welt. Wir schulden uns das, unserer Kultur, unserer Umwelt, Topografie. Es ist sehr schwierig, aber die Kunsthalle Athena und South as a State of Mind wurden aus dieser Herausforderung geboren. Ohne Fremdfinanzierung, mit einem hart arbeitenden Team, das nicht bezahlt wird. Mit Freunden aus der ganzen Welt, die sich gratis bemühen. Durch Ihre Aktivität kennen Sie die junge Kunstszene. Wen sollten wir kennen? Ich möchte keine Namen nennen, kreative Menschen und ihre Arbeit sind keine Waren. Jüngere und ältere griechische Künstler werden internationaler, somit sieht man sie in der ganzen Welt, aber auch in Galerien wie The Breeder (Lasonos St. 45), Kalfayan (Haritos Str. 11), Elika (Omirou Str. 27) oder Qbox (Armodiou 10, 1. Stock), in der Kunsthalle Athena (Kerameikou Str. 28) und bei der Biennale. Wo findet die Kreativszene in Athen fruchtbaren Boden? Im historischen Zentrum. Hinter dem Syntagma-Platz und in Straßen wie Agias Irinis, Kolokotroni, Perikleous findet man nicht nur neue Konzeptrestaurants, Bars, Cafés und einige Geschäfte, sondern auch Büros junger Modedesigner, Magazine, Künstlerateliers. Auch in der Gegend Exarchia im Zentrum, das einst als anarchische Gegend bekannt war, sieht man viele eigenständige Angebote und ökologische Organisationen sowie Ateliers. Welche Trends beobachten Sie in den Straßen der Stadt? Die Menschen werden eleganter, in einer authentischen Art, die nicht kopiert, was man in der Masse sieht. Der Hipstertrend hat auch Griechenland erfasst, aber mit interessanten Variationen. Nachdem über Griechenland so viel gesprochen wurde, ist das eine Art Geisteszustand geworden, eine neue Marke, ein grundlegender griechischer Stil wird da aufpoliert. Eine Reminiszenz der 50er und 60er, als die Griechen Stoffe webten und strickten, weiße Baumwollshirts waren ziemlich angesagt. Auch weiße und hellblaue Kleider, Ledersandalen, Fischerhüte, etc. Stellen Sie sich das berühmte Foto mit Melina Mercuri vor, die in Hydra Sirtaki mit Romy Schneider und Sophia Lauren tanzt! Die Schmuck- und Taschendesignerin Katerina Psoma etwa nimmt Glücksbringer gegen den bösen Blick und redesignt sie für ihre neue Kollektion. Oder sie macht elegante Stadttaschen aus blauen und weißen, gewebten Vintagetextilien kombiniert mit Leder (Apollonos Str. 35). Gleichzeitig haben wir Ancient Greek Sandals, die eine kreative Kollektion griechischer Sandalen in die ganze Welt schicken. Welche Läden fallen Ihnen dazu noch ein? Es gibt einen Trend für zeitgenössische Souvenirläden wie Forget me Not (Adrianou Str. 100), die der Tradition der Designer wie "Greece is for Lovers" folgt (Valtetsiou Str. 50-52), wo man griechische Souvenirs findet, mit zeitgenössischem und manchmal interessant sarkastischem Touch. Weltweit sprießen neue Ideen für Lokale aus dem Boden. Was haben Sie dahingehend entdeckt? Das Seychelles repräsentiert ein Konzept griechischer Restaurants in Athen (Kerameikou 49). Das sind entspannte Orte, wie eine zeitgenössische Taverne, in der man statt Zorba oder Sirtaki Nick Cave oder Rufus Wainwright hört. Die Küche kommt aus sehr traditionellen Gerichten aus unterschiedlichen Gegenden Griechenlands mit einigen zeitgemäßen Ansätzen. Die Lebensmittel stammen von kleinen Erzeugern und Bauernhöfen aus abgelegenen Orten in Griechenland. Die Präsentation ist, wenn man das so sagen kann, zeitgenössisch volkstümlich in bäuerlichem Geschirr, das man wohl fürs eigene Heim sammeln würde - der Preis für ein Essen liegt, samt Wein, unter zehn Euro. Das ist der Stil der Post-Krisen-Restaurants in Athen, Seychelles ist das beste Beispiel dafür. Wo schmeckt Ihnen die typisch griechische Küche in Athen? Im Sommer bei Therapeftirion in Petralona (Kallisthenous & Kydantidon 41). Therapeftirion bedeutet "der Ort, an dem man geheilt wird". Hier schmeckt der frische Fisch und hausgemachte Speisen. Im Winter ist es Filippou (Xenokratous 19), eine typische Tratoria, in der die Kellner jahrelang die gleichen bleiben und frisch gestärkte, gebügelte Hemden tragen. Die Qualität der Speisen könnte nicht hausgemachter sein, meistens ist es besser als bei Mama. Man sitzt unter den älteren und jüngeren Intellektuellen, wie dem Ex-Premierminister, zwischen Künstlern, Modedesignern und Nachbarn aus dem Viertel. Preis-Leistung ist harmonisch. Das könnte leicht die Erweiterung der eigenen Wohnung sein, wenn man in Athen lebt. In welcher Bar verbringen Sie gerne einen gemütlichen Abend mit Freunden? Ich gehe ja kaum noch aus, bin eher eine Morgenperson. Aber wenn doch, dann gibt es da die wunderbare, unauffällige doch elegante Weinbar Heteroklito (Fokionos 2), mit einer guten Weinkarte und einem großartigen Arrangement an Tischen draußen. Weit weg von lauter Musik und gockeligen Angebern. Im Winter gibt's eine geheime, klassische Bar - die "Harry's Bar" von Athen - Galaxy (Stadiou 10). Ganz versteckt in einer Galerie zwischen Gebäuden. Exquisite Cocktails, der gleiche Barmann und Besitzer seit 20 Jahren oder länger. Mit einem natürlichen Hauch der 70er bis 90er, der ungezwungen in die 00er geführt wurde. Purer Stil, pure Eleganz, ein großartiger Platz, um sich mit Freunden zu treffen. Ein Tipp für alle, die das alte Athen mit vereinzelten, sehr schicken jungen Griechen sehen wollen. Wo entspannen Sie am liebsten in Athen? Ein wenig außerhalb der Stadt, in Vouliagmeni, ist ein wunderbarer See. Zwischen schönen Felsen, fast heilig. Sieht man dort eine Elfe, wäre das fast natürlich. Pafsanias Katsotas hat vor über 5.000 Jahren v. Chr. über diesen See und seine Heilkraft geschrieben. Man kann sich auf den Holzstegen oder -stühlen hinlegen - das ist mein Entspannungshimmel nur eine halbe Autostunde vom Stadtzentrum. Welches Hotel empfehlen Sie Freunden für einen Aufenthalt in Athen? Das New Hotel im Zentrum (Filellinon Str. 16). Voll mit Kunst aus der Dakis Joannou-Sammlung, großartigem Design und einmaligen Blicken über die Stadt aus den Zimmern und von der Restaurantterrasse, auf der tolle schmiedeiserne Möbel aus den 50ern stehen. Das Personal ist sehr höflich und hilfsbereit, man fühlt sich wie zu Hause. Wo tauchen Sie ins antike Athen ein? Am Filopappou-Hügel. Ein Hügel der Musen. Bewaldet und verbunden mit der Akropolis. Man kann Archäologie entdecken, die Wege wurden vom modernistischen Architekten Dionisio Gonzalez designt, auch die Sitzgelegenheiten, und es gibt jede Menge Möglichkeiten, den Parthenon zu sehen. Van Morrisson und Bob Dylan hatten hier mal eine einmalige Improvisations-Session, sie blickten über die Akropolis und sangen "The Palace of the Lords". Was vermissen Sie, wenn Sie nicht zu Hause sind? Die Helligkeit, die Helligkeit und nochmals - die Helligkeit. Vielleicht auch das kreative Chaos und die warmherzigen, lustvollen Menschen. Ich vermisse Athen sehr oft, wenn ich unterwegs bin.

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